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Lehre und Wehre.

Jahrgang 61.

September 1915.

Luther über den Krieg.

Nr. 9.

Schier zahllos sind die Schriften und Artikel, welche über den Krieg, der jest schon länger als ein Jahr in Europa wütet, erschienen find. Auf die hier auftauchenden ethischen Grundfragen ist bisher dabei aber verhältnismäßig wenig Licht gefallen. Schier überall tappen immer noch viele im Finstern, wenn sie z. B. Antwort geben sollen, ob der Krieg etwas Erlaubtes fei oder schlechthin verurteilt werden müsse. Die gedankenlose Menge freilich, auf welche Kriegsheber wie Roosevelt spekulieren, machen sich über solche und ähnliche Fragen keine sonderlichen Skrupel. Der Krieg, meinen fie, suspendiere die Moral, und es gehe dann nach dem englischen Grundsatz: "Right or wrong, my country!" Der vermeintliche eigene Nußen und der Vorteil des eigenen Landes steht ihnen höher als Gott und die Stimme des Gewissens. In das entgegengesette Extrem fallen die Pazifisten, die uneingeschränkt jeden Krieg schlechthin verurteilen und damit den Standpunkt des Christentums und der wahren Moral zu bertreten vorgeben. Diesen Friedensaposteln schließen sich auch die meisten Sektenkirchen an, die ebenfalls vom Krieg in einer Weise zu reden pflegen, als ob er schlechthin und unter allen Umständen verwerflich sei. Dabei verwickeln sie sich freilich, in Amerika sowohl wie in England, in Widerspruch, daß sie auch zugleich nicht bloß eifrig eintreten für Waffenlieferung an die Alliierten, sondern ihre Meinung offen dahin kundgeben, daß zuerst einmal die Deutschen niedergerungen und für alle Zeiten unschädlich" gemacht werden müßten, um einen Zustand herbeizuführen, in welchem ihre Ansichten von der absoluten Verwerflichkeit jedes Krieges in die Praris umgesetzt werden könne.

Eine der besten Schriften über die prinzipiellen Fragen den Krieg betreffend ist nun ohne Zweifel das Pamphlet D. W. Walthers von Rostoc: Deutschlands Schwert durch Luther geweiht" (Verlag von Dörffling & Franke in Leipzig; Preis: 1 Mark). Und dies verdankt es vornehmlich der Tatsache, daß Walther Luther zu Worte kommen

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läßt, den „Propheten der Deutschen“, der, weil er aus dem Vollen der Schrift schöpft, auch die Fragen den Krieg betreffend uns zur Klarheit und Gewißheit führt. Die ebenso korrekte als furchtlose und erfolgreiche Stellung, die das deutsche Volk bisher im Weltkrieg seinen Feinden gegenüber eingenommen hat, ist gewiß nicht zum geringsten Teil immer noch eine Nachwirkung der gewaltigen Persönlichkeit und Tätigkeit des großen Reformators, dem selbst ein Bismarck auch diesen Ruhm nicht streitig machen will und kann, daß er der Größte aller Deutschen ist. Walther hat es verstanden, in meisterhafter Weise Luthers Gedanken über den Krieg herauszustellen, und wir glauben unsern Lesern einen Dienst zu tun, wenn wir sie nicht bloß auf diese Schrift verweisen, sondern auch an dieser Stelle seine Ausführungen der Hauptsache nach folgen lassen mit einem zusammenfassenden Sate an der Spize jedes Paragraphen.

Die Liebe macht unter Umständen auch den Krieg zur Pflicht. Ein beispiellos blutiger Krieg hat Deutschland gepackt. Haben wir aber ein göttlich legitimiertes Recht, an einem solchen Morden und Brennen uns zu beteiligen? Ist es nicht Christenpflicht, um jeden Preis den blutigen Krieg zu vermeiden? Mit Recht hat man gesagt, der Kampf ums Recht sei sittliche Pflicht: „Der HErr hat das Recht lieb“ und: Recht muß doch Recht bleiben.“ Luther aber geht auch hier zurüc auf die Liebe. „Alles, was Gott gebeut und haben will, ist die Liebe." „Alle Werke des Gefeßes sind nicht darum geboten, daß man sie nur schlechts tue“, sie sind vielmehr „dahin gerichtet, daß man damit erzeige die Liebe, die im Herzen ist, welche Liebe das Geseß erfordert und vor allen Dingen haben will". Was wider die wahre Liebe ist, das ist widergöttlich, würde es auch Gehorsam gegen Gottes Wort zu sein scheinen. Was die christliche Liebe fordert, das ist göttlich, auch wenn es nach unserm natürlich menschlichen Urteil abstoßend sein sollte. Darum soll man kämpfen für das Recht, weil die Liebe dies fordern kann. Und erst dann ist es ein christlicher Kampf ums Recht, wenn die christliche Liebe dazu treibt. Nur wenn der Krieg als Pflicht der Liebe verstanden werden kann, darf von seiner Berechtigung auch für den Christen die Rede sein. Dann aber ist er nicht nur berechtigt, sondern heilige Pflicht. Freilich hat man gesagt: „Krieg ist Krieg." Aber man muß zwei Arten von Krieg, wie Luther sagt, „weit, weit voneinander scheiden". Der eine, der Angriffskrieg, ist des Teufels; dem gebe Gott kein Glück. Der andere, der Verteidigungskrieg, ist Gottes Wille. Einzig von diesem ist hier die Rede. Luther führt aus: Was ist Krieg anders, denn Unrecht und Böses strafen? Warum kriegt man, denn daß man Frieden und Gehorsam haben will? Ob's nun wohl nicht scheinet, daß Würgen und Rauben ein Werk der Liebe ist, weshalb ein Einfältiger denkt, es sei nicht ein christlich Werk, zieme auch nicht einem Christen, so ist's doch in der Wahrheit auch ein Werk der Liebe. Gleich wie ein guter Arzt, wenn die Seuche so böse und

groß ist, muß Hand, Fuß, Ohr oder Augen lassen abhauen und verderben, auf daß er den ganzen Leib errette. So man ansiehet das Glied, das er abhauet, scheint es, er sei ein greulicher, unbarmherziger Mensch. So man aber den Leib ansiehet, den er will damit erretten, so findet sich's in der Wahrheit, daß er ein trefflicher, treuer Mensch ist und ein gut christlich Werk tut. Also auch, wenn ich dem Kriegsamt zusehe, wie es die Bösen straft, die Ungerechten würget und solchen Jammer anrichtet, scheinet es gar ein unchristlich Werk zu sein und allerdinge wider die christliche Liebe. Sehe ich aber an, wie es die Frommen schüßt, Weib und Kind, Haus und Hof, Gut und Ehre und Friede damit erhält und bewahret, so findet sich, wie köstlich und göttlich das Werk ist, und ich merke, daß es auch ein Bein oder Hand abhauet, auf daß der ganze Leib nicht vergehe. Denn wo das Schwert nicht wehrete und Friede hielte, so müßte alles durch Unfriede verderben, was in der Welt ist. Derhalben ist ein solcher Krieg nichts anderes denn ein kleiner, kurzer Unfriede, der einem ewigen, unermeßlichen Unfrieden wehret, ein kleines Unglück, das einem großen Unglück wehret. Ja, wenn die Leute fromm wären und gerne Frieden hielten, so wäre Kriegen die größte Plage auf Erden. Wo rechnest du aber hin, daß die Welt böse ist, und die Leute nicht wollen Frieden halten, rauben, stehlen, töten, Weib und Kind schänden, Ehre und Gut nehmen? Soldem gemeinen aller Welt Unfrieden, davor kein Mensch bleiben. könnte, muß der kleine Unfriede, der da Krieg oder Schwert heißt, steuern." (Erl. Ausg. 51, 284; 14, 167; 22, 249.)

Wider die Bösen hat Gott der Obrigkeit das Schwert gegeben. Gewiß will es uns wie ein schreiender Widerspruch vorkommen, wenn wir, nach oben blickend, uns den HErrn der Welt vorstellen, der „die Liebe“ und „der Gott des Friedens“ und „der Vater der Barmherzigfeit" heißt, und dann die Menschen hier unten auf Erden in blutigem Kriege ohne Gnade und Erbarmen mit dem Schwerte aufeinander einstürmen und einander zerfleischen sehen. Aber es ist kein Widerspruch. Sondern eben weil Gott die Liebe ist und darum wenigstens vor dem ärgsten die Menschen bewahren will, darum will er gegen die Bösen das blutige Schwert gebraucht haben. „Darum ehret auch Gott das Schwert also hoch, daß er's seine eigene Ordnung heißt und will nicht, daß man sagen oder wähnen solle, Menschen haben es erfunden und eingefeßt. Denn die Hand, die solch Schwert führt und würget, ist auch alsdann nicht mehr Menschenhand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott hänget, rädert, enthauptet, würget und trieget. Es sind alles seine Werke und Gerichte. Summa, man muß im Kriegsamt nicht ansehen, wie es würget, brennet, schlägt und fängt. Denn das tun die einfältigen Kinderaugen, die dem Arzt nicht weiter zusehen, denn wie er die Hand abhaut oder das Bein absägt, sehen aber nicht, daß es, um den ganzen Leib zu retten, zu tun ist. muß man auch dem Kriegs- oder Schwertsamt zusehen mit männlichen

Also

Augen, warum es so würgt und greulich tut, so wird sich's selbst beweisen, daß es ein Amt ist an ihm selbst göttlich und der Welt so nötig und nüßlich als Essen und Trinken oder sonst ein Werk.“ (22, 250.) Hat Gott aber der Obrigkeit das Schwert gegeben, so ist es auch einerlei, ob es sich um einen einzelnen Verbrecher handelt oder um einen so beispiellos furchtbaren Krieg wie den jezt entbrannten. „Denke du selber, wenn man das Stücke einräumt, daß Kriegen an ihm selbst unrecht wäre, so würden wir danach auch müssen alle andern Stücke einräumen und unrecht sein lassen. Denn so das Schwert ein Unrecht wäre im Streiten, so würde es auch unrecht sein, wenn es die Übeltäter straft oder Friede hält. Und kurzum, alle seine Werke würden unrecht sein müssen. Denn was ist recht kriegen anders, als die übeltäter strafen und Friede halten? Wenn man einen Dieb, Mörder oder Ehebrecher straft, das ist eine Strafe über einen einzelnen übeltäter. Wenn man aber recht kriegt, so straft man einen ganzen großen Haufen übeltäter auf einmal, die so großen Schaden tun, wie groß der Haufe ist. Ist nun ein Werk des Schwertes gut und recht, so sind sie alle recht und gut. Es ist doch ein Schwert und nicht ein [weicher] Fuchsschwanz und heißt Gottes Zorn, Röm. 13, 4.“ (22, 252.)

Daß im Kriege auch Unschuldige auf beiden Seiten getroffen werden, macht ihn nicht unrecht, entspricht vielmehr der Absicht Gottes.

Was vor allem uns den Krieg so grauenvoll macht, ist dies, daß dadurch auch so viele Unschuldige getroffen werden. Wenn das Haupt des Mörders unter dem Beile fällt, haben wir das befreiende Bewußtsein, daß ihm nur sein Recht geschieht. Wie ein schwerer Druck liegt es aber auf uns, daß im Kriege Unzählige ohne ihre eigene Schuld leiden und sterben müssen. Dies hat auch Luther empfunden, zugleich aber auch klar gemacht, worin das seinen Grund hat. „In einem gerechten Kriege", sagt er, „darf man nicht darum sorgen, ob es einen Unschuldigen oder einen Schuldigen tötet. Denn hier muß der Gerechte mit dem Ungerechten herhalten, wenn es Gott so will, wie es auch bei der Pest und andern Plagen der Fall ist. Es ist ein bekanntes Sprichwort: Ein Nachbar ist dem andern einen Brand schuldig. Man muß nicht darauf sehen, daß dadurch viele Witwen und Waisen werden, sondern Gottes Wille und Gericht ist anzusehen." (Wm. A. 14, 233.) Wenn wir beieinander wohnen, müssen wir auch allgemeines Unglüd erwarten. Und ob wir gleich nicht Ursach' geben: doch, weil wir mit in dem Haufen [solcher] sind, die Ursach' geben, müssen wir mitleiden. Wen Gott gestraft haben will, den strafet er. Darum müssen wir nichts denn die Not ansehen, welche Gottes Wille und Zorn bringt." (33, 293.) Wir Menschen sind nun einmal untereinander verbunden und nehmen teil am Glück wie am Unglück anderer. Das Feuer im Hause des Nachbars kann auch meinem Hause verhängnisvoll werden. Ja, mein Haus brennt vielleicht völlig nieder, während das seine zum größten Teil erhalten wird. Ich sterbe an der Seuche,

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die ein anderer auf mich übertragen hat, während er genesen kann. Straft die Obrigkeit einen einzelnen Schuldigen, so leiden auch alle die mit, die zu ihm gehören, auch wenn sie völlig frei von jeder Mitschuld find. Nach Gottes Willen sind wir eben nicht nur Individuen, sondern auch Teile eines Ganzen. Darum trifft das Schwert nicht bloß die Urheber des Krieges, sondern das ganze Volk und gerade auch das Volk, welches nach Gottes Willen die Strafe an den Gottlosen vollstreckt. Auch dies lettere ist unvermeidlich, weil es keine andere Möglichkeit zur Strafvollziehung an einem ganzen großen Haufen von übeltätern" gibt. Zugleich wird dadurch der Krieg zu einer „Plage“, einer von Gott verhängten Züchtigung. Er ist eine Plage, ebenso wie Seuchen und andere einen ganzen Haufen“ treffende Schicksalsschläge es find, doch der größten Strafen eine. Teuerung und Pestilenz sind [dagegen wie Fuchsschwänze, ja nicht zu vergleichen mit dem Kriege". (62, 173.) Es ist eine Not“, in die uns „Gottes Wille und Zorn bringt". Leiden darum auch viele „Unschuldige“ unter dem lodernden Kriegsfeuer, so steht uns doch ein protestierendes „Warum" nicht zu. „Wen Gott gestraft haben will, den strafet er“, mag nun die von ihm verhängte Plage gemeint sein als eine eigentliche Strafe oder mehr als „Züchtigung zur Besserung“.

Ein Christ muß dessen gewiß sein, daß er auch als Kriegsmann in einem feligen Stande lebt. Seinen Jüngern hat JEsus befohlen: überwindet das Böse mit Gutem. Ist damit nicht den Christen jede Beteiligung am Kriege untersagt? Gerade solche Gedanken haben Luther zu seiner Schrift „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können bewogen. Denn wenn ein Krieger in jenem Irrtum befangen ist, dann ist nur ein Doppeltes möglich. Er wird entweder mit bösem Gewissen kämpfen. Aber nur wer mit gutem, wohlunterrichtetem Gewissen streitet, der kann auch wohl streiten, sintemal es nicht fehlen kann: wo gut Gewissen ist, da ist auch großer Mut und keckes Herz. Wo aber das Herz keck und der Mut getrost ist, da ist die Faust auch desto mächtiger, und beide Roß und Mann frischer, und gelingen alle Dinge besser, und schicken sich auch alle Fälle und Sachen desto feiner zum Siege, welchen denn auch Gott gibt". Oder aber man wird sich durch die überzeugung, daß man mit dem Kämpfen und Morden im Kriege gegen Gottes Willen handelt, dazu bestimmen lassen, „nichts mehr nach Gott zu fragen und beide, Seele und Gewissen, in den Wind zu schlagen", während doch gerade dann, wenn Krieg vorhanden ist, als in Todesnöten und Gefahr, am meisten an Gott und für die Seele zu denken ist“. (22, 246.) Mit Recht berufen sich auch nach Luther Christen, wenn ihre Obrigkeit sie zum Kriege ruft, auf das Wort des Apostels: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat." Aber damit will Luther keineswegs dem einzelnen Krieger alle Verantwortlichkeit abnehmen. Vielmehr kann nach seiner überzeugung auch eine Verweigerung des Gehorsams Pflicht werden, dann

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