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voll in Anspruch nahm, wo sie erhöhen und verstärken, wirken in diesem Stücke günstig mit, die Phantasie des Zuhörers und Zuschauers sinnig anzuregen, und so ist dieser,Traum ein Leben in Wien trotz seiner erhöhten Weise und Sprache ein verehrtes Volksstück geworden."

Die Gegenüberstellung der französischen Quelle und der deutschen Dichtung zeigt aber zu so vielen Malen noch Ein Mal, dass der Poet auch den schon vielfältigst bearbeiteten Stoff allzeit allüberall herholen kann. Nur ein rechter und wahrer Dichter muss er sein, der ihm einen neuen und grossen Inhalt, eine neue, ursprünglich anmuthende Form zu geben

vermag.

Brünn.

H. Siegl.

Der Narr im König Lear.

„Der alte Chor in das französische Trauerspiel eingeführt, würde es in seiner ganzen Dürftigkeit darstellen und zunichte machen, ebenderselbe würde ohne Zweifel Shakespeares Tragödie erst ihre wahre Bedeutung geben."

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Dieser Ausspruch Schillers scheint mir nicht ganz zutreffend. Die Franzosen besitzen ein Trauerspiel, welches durch den Chor erst seine volle, ja eine klassische Bedeutung erhalten hat. Von dem Chor in Racines Athalie sagt Schlegel, dass er mit Ausnahme geringer Aenderungen, welche die moderne Musik und theatralische Anordnung nötig machen, in dem Sinn der Athalie ist vielleicht das vollendetste Alten aufgefasst sei. dramatische Kunstwerk, welches griechische Form in all ihrer Eigentümlichkeit mit modernem Ausdruck und biblischem Geiste aufs reinste verschmolzen hat. Die ganze Handlung dreht sich um den Kultus Jehovahs. Dargestellt wird der Kampf des einen Gottes gegen die falschen Götter, der Hohepriester und die Königin sind die menschlichen Vertreter, in denen diese beiden feindlichen Principien auf einander treffen. Der Ort ist die Vorhalle des Tempels und die Zeit einige kurze Morgenstunden. Ein Chor von jungen Mädchen, die bei dem Dienste im Tempel beschäftigt sind, begleiten den bei aller äusseren Ruhe doch leidenschaftlichen, Tod und Verderben drohenden Kampf mit ihren dem Herrn geweihten feierlichen Liedern. Sie knüpfen an das Höchste an, erfüllen sich ganz mit dem Ewigwahren und Ewigseienden und lassen diesen Inhalt in den herrlichsten Accorden austönen. Aehnlich, wenn auch nicht in so

Archiv f. n. Sprachen. LXIV.

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grossartiger Weise, ist Racine die Anwendung des Chors in Esther gelungen.

Auch den zweiten Satz, dass Shakespeares Tragödie erst ihre wahre Bedeutung erhalten hätte, wenn der alte Chor in dieselbe eingeführt wäre, halte ich nicht für richtig. Die Art der Dichtung des grossen Britten ist zu sehr verschieden von derjenigen der Alten. Bei Aeschylus und Sophokles herrscht die grösste Einfachheit in der Darstellung. Nur zwei bis drei Personen befinden sich gleichzeitig mit dem Chor auf der Bühne, die Scene ist nur sehr selten verändert, die Dauer des Stücks beschränkt sich auf eine kurze zusammenhängende Zeit, der Gegenstand ist ein leicht übersichtlicher, der durch Nebenhandlungen nicht verwirrt wird. Von Shakespeare lässt sich das gerade Gegenteil behaupten. Was dort einfach, ist hier verwickelt. Die Personen drängen sich massenhaft in seinen Stücken, die Scene wird wie in einem Zaubermärchen ununterbrochen verändert, die Dauer der Handlung dehnt sich oft über lange Zeiträume hin aus, und mit Vorliebe lässt Shakespeare neben der Haupthandlung noch eine oder mehrere andere Handlungen hergehen, die dann die Wirkung der ersten oft durch den Kontrast, oft durch die Gleichartigkeit nur heben und verstärken sollen, manchmal aber auch die Uebersichtlichkeit in schädlicher Weise trüben.

Um des Chors willen hätte demnach Shakespeare seine ganze Art der Dichtung, die zwar nicht allein sein Eigentum, die aber doch hauptsächlich durch ihn das Vorbild aller modernen Dichtung geworden ist, aufgeben, oder er hätte für den Chor wenigstens einen Zauberwagen sich ersinnen müssen, um ihn damit über den Raum, und ein unvergängliches Alter, um ihn damit über die Zeit erheben zu können.

Das sind nur mehr Aeusserlichkeiten, aber auch tiefer gehende innere Gegensätze stellen sich einem solchen Vorhaben bei jedem modernen Dichter unüberwindlich entgegen.

Der Chor hat eine religiöse Grundlage. Aus dem Kultus der Götter erwachsen, bildet er immer den Kernpunkt des Trauerspiels, an den sich die Handlung nur anschliesst. Bei

seinen aufs allgemeine gerichteten Betrachtungen folgt er einer Religionsanschauung, die bei den Zeitgenossen des Aeschylus und Sophokles volle Anerkennung und Gültigkeit hatte. Auch die socialen und staatlichen Verhältnisse, die im Trauerspiel vorgeführt wurden, waren den damaligen Griechen ohne weiteres verständlich wie die Angelegenheiten der Könige auf dem öffentlichen Platze zum Austrag kamen, wie dort zu Gericht gesessen wurde, wie der Chor nicht nur als blosser Zuschauer, sondern auch als Ermahner und Tadler dem Könige gegenüber stand. Diese mehr republikanische Gleichstellung erschien besonders dem Athener ganz natürlich.

Zu Shakespeares Zeit liegt die protestantische Welt mit der katholischen im Streit. Der allumfassende katholische Dombau, der sich über den geschichtlichen Völkern im Mittelalter gleichmässig gewölbt hatte, brach zusammen, und aus jedem einzelnen Mauerstücke schien eine neue religiöse Ansicht sich bilden zu wollen. In dem katholischen Kultus mit seinem theatralischen Beiwerk liess sich wohl ein Chor nach Art des Sophokleischen denken, aber in dem protestantischen, der mit einer förmlichen Verfolgungssucht alles Sinnenberückende entfernte, hatte er keinen Platz. Das mehr allgemein Menschliche, welches das Charakteristikum der Neuzeit ist, lässt sich nicht in die enge Form eines besonderen Kultus zwängen; das Theater ist säcularisirt und hat keinen Raum für einen geistlichen Chor. Ebenso ist es auf dem staatlichen und socialen Gebiete. Die Könige stehen Unterthanen gegenüber; alle Berathungen über das Wohl des Volkes, alle richterlichen Handlungen, die Schicksale der Herrscherfamilien entziehen sich der Oeffentlichkeit und finden ihre Stätte in geschlossenen Räumen. Nur bei Vorwürfen, wie Racines Athalie, konnte auf den alten Chor zurückgegangen werden; bei Gegenständen aus der zeitgenössischen oder auch schon mittelalterlichen Geschichte musste die Wiederbelebung desselben ebenso gut missglücken, wie sie bei Schiller in seiner Braut von Messina trotz aller sonstigen Schönheit missglückt ist.

Dass aber Shakespeare dasselbe Bedürfnis, welches die Alten durch den Chor zu befriedigen suchten, bei seinen dra

matischen Schöpfungen auch empfunden hat, sehen wir an der Erscheinung des Narren im König Lear.

Der Chor, aufgefasst in seiner höchsten Bedeutung, hat die Aufgabe, die Betrachtung, die Reflexion von der Handlung zu trennen. Dadurch wird der Schritt der Handlung ein freier, die Leidenschaften können in ihrer sinnlosen Wuth sich rückhaltlos austoben, alles vernichtend, was ihnen in den Weg tritt. Wirkte die Handlung aber allein, so würde der Zuschauer dieses blinde Toben elementarer Naturkräfte nicht ertragen können; es muss sich ihm von Zeit zu Zeit das allgemein Verständige wieder bieten; es muss über diesem wilderregten Meer der Leidenschaften der ruhige feste Schein des Polarsterns dann und wann aus den Wolken hervorleuchten, um das erschreckte geängstigte Gemüth zu beruhigen. Das Trauerspiel an sich, der Selbstvernichtungskampf ganz von ihren Gefühlen beherrschter Menschen, würde leicht den Eindruck eines Tollhauses machen, von dem sich der Blick gepeinigt bald abwenden würde, wenn nicht die Betrachtung in der einen oder anderen Form Ruhepunkte brächte und an stetige Gesetze erinnerte.

Der Chor soll über den Leidenschaften der handelnden Personen stehen, er vertritt den gemeinen Menschenverstand, er lässt sich gern in allgemeinen Wahrheiten aus. Der Chor ist gleichsam die Stimme des idealisirten Zuschauers, der die Fäden der Handlung vor sich ausgebreitet sieht, der die Beweggründe jeder einzelnen handelnden Person besser kennt als irgend eine von den handelnden Personen selbst, und der nun unparteiisch das Vernünftige als Richtschnur des Lebens hinstellt. Ganz unparteiisch ist der Chor natürlich nie, ebenso wenig wie es der unbeteiligte Zuschauer ist, der eine grausame That vor sich begehen sieht. Im Agamemnon legt der Chor argivischer Greise sogar die Hand ans Schwert, um den feigen Buhlen der Klytämnestra zu erschlagen. Mit grösserer oder geringerer Wärme wird der Chor wie der Zuschauer immer für den weniger Schuldigen eintreten, ohne dass er denselben deshalb mit seinen Ermahnungen, seinen Strafreden verschonen wird.

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